All I want is you oder: Mein Coming-of-Age-Song. Ein musikalisches Geständnis.
Musik löst Erinnerungen aus. Oder: Mein Coming-of-Age-Song.
Anlässlich meines 54. Geburtstages, gibt`s ein musikalisches Geständnis: All I want is you, ist einer meiner “coming-of-age”-Songs.
Letztens hörte ich mir bei einer Autofahrt „All I want is you“ von U2 an. Ich hatte aus meiner ersten Porzellanserie „pimp my china“ das Service mit Bonos Conterfey und dem Text von „all I want is you“ verschenkt. Gegen Spende für ein Sozialprojekt, das Frauen in Not hilft. Das Geschenk ging an einen U2-Fan, der anscheinend alle ihre Konzerte besuchte und besucht.
Ich war neugierig: Ich wollte neu analysieren, was die Poesie des Textes kann, wie der Song aufgebaut und der Text musikalisch unterstrichen wird. Zuerst höre ich auf Bonos Stimme, den Text, mein Gehirn übersetzt ins Deutsche, dann dringen die Gitarrenriffe von the Edge an mein Musikzentrum, und dann, ja dann kam eine Emotion. Warum plötzlich so ein diffuses ….? Ich überlegte … nein, nicht diffuses, sondern melancholisches Gefühl?
Das Lied löst bei mir die Erinnerung an ein bestimmtes Erlebnis, an den Sonnenstand, den Fahrtwind und das „Grundgefühl“ von damals aus. Plötzlich weiß ich es: Der Song ist mit etwas ganz Besonderem verknüpft. Mit dem Urlaub mit meinem ersten Freund, meinen damaligen Gefühlen und mit meiner ersten großen Trennung von einem Menschen, der mir sehr nahe stand.
Ich weiß, dass alle Erlebnisse irgendwo gespeichert sind und ich weiß, dass Musik das kann, was Psychotherapeuten oft erst in einigen Sitzungen schaffen: Erlebnisse ins Bewusstsein zu holen, Gefühle wahrzunehmen, zu benennen und letztendlich dann in Worte fassen zu können (in Form des Liedes).
Bono, du hast es in meine Musik-Liste geschafft!
Spätestens jetzt, bei dieser anfangs erwähnten Autofahrt wußte ich es: „All I want is you“, ist einer meiner „Coming-of-age“-Songs.
Neben all den Liedern von Tracey Chapman, Sinéad O`Connor, Suzanne Vega, Taktita Takaram, Vaya Con Dios, Cat Stevens, Alan Parsons Projekt und Neil Young, die Lieder, die ich auf Kassetten aufgenommen, überspielt und, wenn möglich, in Dauerschleife abgespielt habe.
Meine Erinnerung hat mit einer Autofahrt zu tun.
Es war so gewesen, (oder so ähnlich):
Wir, mein Freund und ich, waren das erste Mal auf Urlaub. Ich 19 einhalb, mein Freund 22.
Er hatte schon den Führerschein und einen blauen VW Passat, den ich ein bisschen uncool fand. Wahrscheinlich, weil mein Papa IMMER alte und gebrauchte Autos gefahren hat. Meistens in der Farbe Blau. Richtige „Karossen“, für die ich mich auch immer geschämt hatte, weil ich als Teenager aus denen aussteigen musste. Am Marktplatz. Wo mich – ALLE – gesehen haben.
Also, mit diesem besagten Auto machten mein Freund und ich damals eine Österreichtour. Zuerst waren wir am Neusiedlersee, wo wir im Auto übernachtet haben. Es war stickig, heiß und wir konnten keine Fenster aufmachen. – Wegen den Gelsen. Wir waren am Neusiedlersee.
So fuhren wir, nach einem Frühstück vom „Konsum-Markt“ (Marakuja-Trinkmolke und Kornspitz) weiter ins Salzkammergut. Zuerst nach Altaussee, wir zelteten auf einem Campingplatz nahe einem Bach. In der Früh war uns saukalt. Im Ort kaufte ich mir mittags einen Emailring in Blautönen, den ich auch heute noch habe, aber nicht mehr trage. (Übrigens, die highwaist-Jeans und die weißen oversize T-shirts auch nicht mehr.)
Nach einer Bootsfahrt auf dem Toplitzsee, er war tief und düster, ich hatte ein komisches Gefühl dabei, fuhren wir weiter nach, ich glaube, ins oberösterreichische Salzkammergut. Entlang der Traun, vom Ursprung oberhalb des Grundlsees, bis nach Linz…
Zuerst aber Salzkammergut. Wie melancholisch ich damals gewesen bin. – Obwohl ich noch jung war, unbeschwert hätte sein können und lustig, war ich immer sehr vernünftig, immer um irgendetwas besorgt: die Umwelt, die Atommeiler, den Nah-Ostkonflikt, …
Trotz Freund, netten Freundeskreises, coole Abende in der Disco (mit Disconebel), cooler Lehrstelle (ich lernte Keramikerin), wohligem Zuhause. Ja, ich war etwas schwermütig, damals. Ein ähnlicher Song wie „summertimesadness“ (ich weiß nicht mehr genau welches Lied es genau war), verstärkten das damalige Urlaubs-Feeling. Der Barcadisong – “Summer Dreaming” – aus 1992 war es nicht, soviel weiß ich.
Auf jeden Fall waren wir am Offensee, wo wir heimlich campierten, obwohl das verboten gewesen ist. (Mein heutiger 53-jähriger Verstand ist beruhigt: wenigstens eine verbotene unvernünftige Sache hat das blonde, langhaarige, altkluge, melancholische Mädchen von damals gemacht.)
Also, er und ich, wir ließen nach einer verknitterten Nacht in unserm Zelt, auf dem harten Kiesboden auf einem Parkplatz nahe des Offensees, den smaragdblauen, einsamen, wunderschönen See hinter uns und fuhren die Landstraße mit offenen Autofenstern hinab. Ich glaube, meine langen glatten* blonden Haare wehten im Fahrtwind. *(nein, eigentlich hatte ich damals eine Dauerwelle)
– Im Autoradio eine überspielte Kassette – „Rattle and Hum“ von U2, urlaut aufgedreht. Er war ein Fan. Ich auch. Er sang lautstark mit. Ich auch.
„All I want is you …“
Es war eine sekundenschnelle Erkenntnis, eine Ahnung? Nein, ich wusste plötzlich, dass das von Bono mitgeschmetterte „all I want is you“ von ihm nicht mir, und das meine auch nicht ihm galt:
Wir sangen beide nur für uns; mit Bono.
Heute denke ich, wir brachten durch U2 unsere Sehnsucht zum Ausdruck, auch im darauffolgenden „U-U-U“ (das wirklich lange dauert); eine Sehnsucht, die nicht uns galt, sondern
dem Leben,
der LIEBE,
und allem was noch kommen würde.**
Wahrscheinlich ahnten wir damals schon den Schmerz, den das Leben für uns noch bereithalten würde; auch den Schmerz, den unsere erste Trennung unseres jungen Lebens mit sich bringen würde.
Das Ende des Songs, mit dem Orchester und den unharmonischen Tönen, beschreibt auf jeden Fall, wie unsere Trennung dann geworden ist: mit viel Drama, Schmerz und Pathos (und auch mit ein bisschen Liebe und Reife, um loslassen zu können). Wir, er und ich, haben es überstanden.
Rückblickend können wir gnädig (mit uns) sein. Wenn wir uns heute begegnen, auch normal.
**mit meinem neuen Freund Dominik in einem Jahr, – es würde auch mit einer Autofahrt beginnen – würde 1991 Lou Reed und David Bowie (und ein klein bisschen Elvis) in mein musikalisches Leben einziehen. Ein bisschen mehr Rock`n Roll, beim Musikhören, und seltener Melancholie.
Auch würde ich mit der Zeit etwas ausgelassener, gelassener und froher werden. Vielleicht weil ich reifer werden würde, vielleicht weil ich immer mehr erleben würde, dass Krisen vorbei gehen würden und einem sicherer im Leben machen würden.
Ich würde immer mehr erleben, wer ich war, was ich mochte, was ich nicht mochte und was ich konnte. Ich würde ein bisschen mehr zu der Frau werden, die ich in mir trug.
Aber das wusste ich damals noch nicht.
pimp my china with Elvis
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