Older, but better and …
Obwohl ich Keramikerin bin, stelle ich dir auf meinem Blog ab und zu unter dem Titel „older, but better and …“ Frauen vor, die in ihrer Lebensmitte Neues wagen und damit andere Frauen inspirieren bzw. anderen Menschen mit ihrem Tun helfen, unterstützen oder zu deren Wohlbefinden beitragen.
Warum mich das selbst so anspricht? Vermutlich weil auch ich erst in meiner Lebensmitte begann – wieder – als Keramikerin zu arbeiten an. In einem eigenen Atelier; dort wo früher meine Praxis für Ergotherapie gewesen ist. Mehr dazu siehe h i e r.
Diesmal habe ich kein Interview von einer inspirierenden Frau ü40 für dich. Dafür erzähle ich dir von einer inspirierenden Frau, die – weit über ü40 – auch als „weibliche Stimme von Dr. Frankl“ bezeichnet wird.
Dr. Edith Eva Eger, 94,
Dr. Eger gehört zu den wichtigsten Therapeutinnen der Gegenwart. (Dr. Edith Eger habe ich bereits schon im letzten Blogartikel über die Freiheit erwähnt. Siehe h i e r).
Ich erzähle dir hier nicht nur von ihrer schmerzhaften Vergangenheit, ihrem Mut und ihrer Stärke, sondern ich möchte vor allem den Spot dahin leuchten, dass Edith Eger NACH den schwierigsten Bedingungen, die man sich je vorstellen kann, das Beste aus ihren schlimmsten Erfahrungen, ihrem Traumata und ihrem Leben gemacht hat.
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Edith Eger hat hunderten, seit ihrem Buch, das sie mit 90 geschrieben hat, bestimmt tausenden von Menschen geholfen. Über das Buch “In der Hölle tanzen”, btb Verlag, 2017, schreibt die New York Times:
Ein wichtigeres Buch für die heutige Zeit kann man sich kaum vorstellen.”
Siehe h i e r.
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Als Jugendliche, mit 16 tanzte Edith im KZ vor und für Dr. Mengele,
an dem Morgen, als ihre Mutter in die Gaskammer ging. Sie und ihre Schwester Magda überlebten damit eine weitere Selektion. Auch ihr Vater war schon „ausselektiert“ und in die Gaskammer geschickt worden.
Ediths innere Stärke, auch an Schönem festzuhalten, sich einen Teil von Normalität in Gedanken herzuholen, Visionen und Pläne zu haben, erhielt sie und ihre Schwester unter anderem am Leben.
Man hat immer die Wahl, sich frei zu fühlen.
Edith Eger
Edith und ihre Schwester überlebten unter den ärgsten Bedingungen das KZ Ausschwitz.
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Rettung
Als Edith 18 war, überlebte sie die Todesstiege in Mauthausen und den Todesmarsch aus dem KZ ins Todeslager Gunskirchen. Dort aß Edith Gras, um zu überleben und um nicht wie andere Gefangene in Kannibalismus zu verfallen. Sie und ihre Schwester sind einige der wenigen, die überlebten und gerettet wurden: aus einem Leichenhaufen; durch „Zufall“.
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Edith kehrte in ihre Heimat Ungarn zurück, mit 19 heiratete sie und mit 20 rettete sie als junge Mutter mit ihrer Tochter ihren Mann Béla aus dem Gefängnis (er war von den Kommunisten inhaftiert worden). In einer Nacht- und Nebelaktion wanderte die junge Familie nicht wie geplant nach Israel aus, sondern nach Amerika. Dort waren sie Fremde. Traumatisierte Fremde, die versuchten, ein neues Leben aufzubauen.
Die Gräuel eines KZs zu überleben ist eine Sache. Danach mit den Traumata, der Trauer, der Wut, dem „warum habe ich überlebt?“, … weiter zu leben, eine zweite.
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In einem Kurier-Interview sagt Edith Eva Eger:
Auschwitz wurde für mich zum Klassenzimmer, in dem ich meine inneren Quellen, meinen inneren Reichtum entdecken konnte – wer ich bin.
-Und diese Lektionen sind heute Teil meiner professionellen Sitzungen. Indem ich Menschen zeige, die Antworten im Inneren zu finden. Nichts kommt von außen. Ich hatte die Wahl, die Aufseher anzugreifen und daraufhin erschossen zu werden, oder in den Stacheldraht zu laufen, wo mich ein Stromschlag getötet hätte. Doch schlussendlich hatte ich etwas, das nicht durch meine Umstände beeinflusst werden und mir niemand nehmen konnte. Meinen Geist. Ich ließ nicht zu, dass er ermordet wurde – in diesem Sinne hat mir Auschwitz ermöglicht, jene Dinge zu entdecken, die ich heute bei meinen Patienten anwende.“
Siehe h i e r.
Sich weiterzuentwickeln und sich eine Existenz aufzubauen ist eine dritte Sache:
Edith und Béla (der aus einer reichen ungarischen Unternehmerfamilie stammte) kamen mit nichts nach Amerika. Schwerst traumatisiert, versuchten beide ein normales Leben zu leben. Sie verdienten ihr Geld in Fabriken, Edith in einer Näherei… Zwei weitere Kinder wurden geboren. Nach außen hin, ging es Edith einigermaßen gut. Ihre schrecklichen Erlebnisse hatte sie weggesperrt. In eine innerliche Krypta. Flashbacks im Alltag, holten sie immer wieder ein. Ausgelöst oft durch Kleinigkeiten, wie zum Beispiel, von einem (uniformierten) Busfahrer mit lauter Stimme aufgefordert zu werden, sich ein Ticket zu lösen…
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Studium der Psychologie mit 40
Durch verschiedenste Weiterbildungen und Umstände, entschied sich Edith mit 40 Jahren Psychologie zu studieren. Leistung, sich zu beweisen, es wert zu sein, überlebt zu haben, sehr gute Resultate zu erbringen, … waren unter anderen ihre inneren Antreiber. Auch ihre Ehe mit Béla schien gescheitert zu sein; Edith trennte sich von ihrem Mann. Mit Psychotherapie und auch durch das Arbeiten mit ihren eigenen Patient*innen, begann Edith Lektionen zu lernen, um ihr innerstes Gefängnis aufzuschließen.
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Von einem jungen Studenten bekam Edith das Buch von Viktor Frankl „trotzdem ja zum Leben sagen“ geschenkt, das für ihre Weiterentwicklung und Aufarbeitung der Traumata richtungsweisend war.
Frankl war mein Mentor, mein Kollege und ich wurde schließlich diplomierte Logotherapeutin.
Edith Eger sieht sich “selbst als Lotse, damit sich Menschen aus der Opferhaltung hin zur Selbstermächtigung bewegen können, aus der Dunkelheit ins Licht. Ich helfe Menschen, sich von sich selbst zu befreien, aus dem Konzentrationslager in ihrem Kopf. Damit sie die Antworten bei sich selbst, in ihrem Inneren finden können.“ Edith Egar, siehe h i e r in einem Kurier- Interview.
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Jahre später, feierten Edith und Béla zum zweiten Mal ihre Hochzeit.
Es wurde eine „richtige“ jüdische Hochzeit und es fühlte sich für beide „richtig“ an. Beide arbeiteten an sich und an ihren Wunden vergangener Erlebnisse. Beide waren ein Stück heiler geworden.
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Dr. der Psychologie werden??
In einem Gespräch mit dem Rektor der Universität, formulierte Edith ihren Traum, den Doktor in Psychologie zu machen.
– Allerdings mit starken Bedenken und dem Einwand: „ … wenn ich das Studium beendet habe, bin ich fünfzig.“ Der Rektor lächelte sie an und entgegnete:
Fünfzig werden Sie so oder so.“
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Mit 52 machte Edith Eger also ihren Doktor.
Sie schreibt:
“In den folgenden sechs Jahren stellte ich fest, dass mein Doktor und mein Therapeut Recht hatten. Es gab keinen Grund, mir Grenzen aufzuerlegen, meine Entscheidungen von meinem Alter einschränken zu lassen.
Ich hörte auf das, was mein Leben von mir erwartete.“
siehe Buch S.298
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Dr. Edith Eger arbeitet häufig mit (vom Krieg) traumatisierten Menschen; mit 90 hat sie ihr erstes Buch geschrieben, mit 94 ihr zweites (The Gift – 12 Lessons to save your life).
Danke Frau Dr. Eger für das Überleben, Durchhalten, für Ihre Erkenntnisse und das Weitergeben Ihres Wissens!
Dr. Edith Eger ist beliebte Sprecherin als Expertin bei Tagungen, Symposien, Fortbildungen, bei Podcasts … Ihre Vorträge am Podium beendet sie – auch mit über 90 noch – mit einem „high kick“. – Mit einer Tänzerpose, die ein “Hoch auf das Leben!” ist.
Aus tiefstem Respekt: Chapeâu, Frau Dr. Eger!
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Literaturtipps:
“In der Hölle tanzen”, Eger, Edith Eva, btb Verlag, 2017
“Trotzdem ja zum Leben sagen”, Frankl, Viktor, Penguin Verlag
“The Gift – 12 Lessons to save your life”, Eger, Edith, Scribner Verlag, 2020